Beziehungsdynamiken wirken immer

Was sind Systemaufstellungen?

 

Systemaufstellungen sind eine ungewöhnliche Methode mit dem Ziel, den unbewussten Anteil in Beziehungssystemen sichtbar darzustellen und vor allem die dazugehörigen Gefühle erlebbar zu machen. Der Vorteil dieser Methode ist, dass bislang verborgene Beziehungsgefühle für Dritte von außen jetzt nachvollziehbar werden und für die Klärung von unklaren Konflikten mit sich selbst, mit der Familie und am Arbeitsplatz nutzbar werden.

 

So wie es verbale und nichtverbale Kommunikation gibt, gibt es auch in Beziehungen bewusste und nicht bewusste Bindungseigenschaften. Obwohl wir Vieles nicht bewusst wahrnehmen, reagieren wir dennoch emotional und sogar körperlich darauf. Vor allem Kinder und Haustiere haben besonders empfindliche Fühler für atmosphärische Störungen in Beziehungen und reagieren ziemlich intensiv und direkt, weil sie unerfahrener sind und sich nicht durch Hinterfragen, Umdeuten und Neubewerten schützen können. Systemaufstellungen bilden gerade diese unbewussten Beziehungsdynamiken nachvollziehbar ab.

 

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Menschen können in kurzer Zeit erheblich mehr relevante Informationen aus erlebten Szenen aufnehmen und verarbeiten als auf jede andere Weise. Diese Fähigkeit macht man sich hier zunutze, indem man einen Ausschnitt aus einem Beziehungskontext wählt und diesen mit Stellvertretern aus der Gruppe nachbildet. Hierzu werden Personen aus der Gruppe als Stellvertreter für Familienmitglieder oder Unternehmensangehörige im Raum aufgestellt, daher der Name „Aufstellung“.

 

Die Wirkung geht weit über ein Rollenspiel hinaus, denn die Charaktere werden nicht wie im Theater gespielt. Vielmehr erleben die Stellvertreter an ihren jeweiligen Positionen sowohl auf körperlicher als auch emotionaler Ebene Impulse und Dynamiken, die den abgebildeten Ausschnitt eines Beziehungssystems nachvollziehbar und realitätsnah abbilden. Diese stellvertretende Wahrnehmung der Gefühle und Körperreaktionen ist nicht abhängig vom Wissen der Stellvertreter; sie erleben das Gleiche sogar, wenn sie nichts von der Rolle, in der sie stehen, wissen. Sie sind gewissermaßen eine Art Medium, das etwas fühlt, obwohl es das Gefühlte keinem bekannten Wissen zuordnen kann. Dieses Phänomen der übertragenen Informationen auf nichtwissende Stellvertreter kann bis heute nicht eindeutig und überzeugend erklärt werden. Aber in einer aufwendigen wissenschaftlichen Forschungsstudie wies der deutsche Psychologe und Ingenieur Dr. Peter Schlötter immerhin nach, dass die wahrgenommenen Informationen von nichtwissenden Stellvertretern in über 3000 Einzelversuchen keinem Zufall entsprechen, sondern reproduzierbar sind und hochsignifikant bestimmten Plätzen im Raum zugeordnet werden können, d.h. in Systemaufstellungen sind Wahrnehmungen abhängig von der Position im Raum. Ich selbst habe beobachtet, dass dieses Phänomen der Stellvertreterwahrnehmung in Systemaufstellungen weltweit zu bestehen scheint: Neben Menschen in Europa sah ich auch Menschen in Ländern wie Afghanistan (> Download ), Nepal, Indonesien, Japan, Südkorea, Taiwan, Brasilien, Argentinien, Israel & Palästina u.a. in der Lage, diese stellvertretenden Wahrnehmungen in Systemaufstellungen zu fühlen und für Konflikte zu nutzen. Es scheint daher eine universelle Fähigkeit des Menschen zu sein.

 

Systemaufstellungen verschaffen wichtige diagnostische Einblicke in ein Beziehungsgefüge – ähnlich einem Mikroskop – und erlauben einen Einblick in die emotionalen Auswirkungen von möglichen Lösungsschritten in der Zukunft. Man kann also verfolgen, welche Schritte angemessen sind, um Konfliktgefühle zu wandeln und im Idealfall Lösungsgefühle entstehen zu lassen. Damit wurde ein Instrument gefunden, das explizit mit Gefühlen arbeitet, die zu einem Konflikt gehören, und sie mit den zu verhandelnden Inhalten sinnvoll in Beziehung setzt.

 

Beispiel: Ein 60-jähriger Mann hatte eigentlich alles, um glücklich zu sein: Eine glückliche Ehe, gesunde und gut ausgebildete Kinder, einen interessanten Beruf mit angenehmen Kollegen und viel Anerkennung, langjährige Freunde, ausreichende finanzielle Reserven, ein gemütliches Eigenheim, ein hochwertiges Auto usw. Dennoch misstraute er anderen Menschen, fühlte sich nirgendwo richtig sicher, manchmal sogar beobachtet, entwickelte unerklärliche Schuldgefühle und neuerdings Depressionen und wachsende Verlustängste.
In einer Systemaufstellung lernte er die emotionalen Auswirkungen seiner totgeborenen Schwester kennen, über die man nie gesprochen hatte. Plötzlich erkannte er, warum er sich immer am falschen Platz fühlte: Er war nämlich nicht das zweite, sondern das dritte Kind der Geschwisterreihe. Die Unnahbarkeit der zurückgezogenen Eltern, die ihn immer wütend gemacht hatte, ergab vor dem Hintergrund der Überforderung Sinn. Auch seine Schuldgefühle und das Gefühl, eigentlich nicht glücklich sein zu dürfen, passten in eine trauernde Familie, die sich allerdings nie getraut hatte, die Trauer zuzulassen und zu leben. Er konnte einsehen, dass er unbewusst die ungelebte Trauer nachgeholt hatte, ohne zu ahnen, für wen. Er konnte einsehen, dass die Angst, jemanden zu verlieren, eigentlich seinen Eltern gehörte. Mit dem Bild seiner großen Schwester löste sich die Angstsymptomatik und depressive Verstimmung, verschwanden zudem wichtige, lebenslange Symptome wie Psoriasis und Kopfschmerzen, die seiner kindlichen Hilflosigkeit und unterdrückten Wut zuzuordnen sind.

 

Im Zuge der Arbeit mit Systemaufstellungen haben sich universelle Gesetzmäßigkeiten gezeigt, die in Beziehungen immer wirken und die man nicht willentlich außer Kraft setzen kann. Sie wirken weltweit und sind vermutlich das Erbe aus einer Zeit, wo Menschen noch in kleinen Gruppen durch eine bedrohliche Wildnis zogen und ihren Überlebensvorteil dadurch erzielten, dass sie sich zu effizienten Gruppen organisieren konnten. Diese Gesetzmäßigkeiten handeln im Wesentlichen vom Ausgleich des Gebens und Nehmens in Beziehungen, vom Ausgleich von Lücken im System, von der Notwendigkeit der Gruppenbindung und des Gruppenzusammenhalts und von der Beachtung von Gruppenregeln und Gruppenordnungen. Die Kenntnis dieser Gesetzmäßigkeiten ist für das Verstehen und die Beruhigung von Konflikten mit sich selbst, in Familien, Unternehmen, Organisationen und Gesellschaften von großer Bedeutung. Je früher die Verletzung dieser Gesetzmäßigkeiten erkannt wird, desto eher lassen sich schwerwiegende Fehlentscheidungen vermeiden und statt dessen gangbare Lösungsschritte finden.

 

Systemaufstellungen sind als Arbeit in einer Gruppe am eindrucksvollsten. Aber auch in Einzelsitzungen lassen sich wesentliche Dynamiken erkennen und genauso emotional erleben.